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Gedicht des Monats: »Wer nie sein Brot mit Tränen aß«

09. März 2025 — Malte Dostal

Wenn Sie möchten, sei das Gedicht des Monats März 2025 Goethes »Wer nie sein Brot mit Tränen aß«:


Wer nie sein Brod mit Thränen as,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sas,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt ihr ihn der Pein;
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Dieses Gedicht veröffentlichte Johann Wolfgang Goethe nicht als solches, sondern in seinem Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795). Über dieses Meisterwerk gibt es freilich viele Rezensionen, am eindrucksvollsten ist allerdings die folgende von niemand Geringerem denn Schiller aus einem Brief an Goethe im Dezember 1794:

Mit wahrer Herzenslust habe ich das erste Buch Wilhelm Meisters durchlesen und verschlungen, und ich danke demselben einen Genuß, wie ich lange nicht, und nie als durch Sie gehabt habe.

Nun muss ich also gestehen: Ich habe Wilhelm Meister noch nicht gelesen. Folglich weiß ich nichts über die Situierung des Gedichts darin zu sagen und muss mich auf eine allgemeine Betrachtung beschränken.

Goethe spricht von den »himmlischen Mächten«, die den Menschen ins Leben führen und ihn schuldig werden lassen. Er argumentiert, dass diejenigen, die niemals echten Kummer verspüren mussten, diese Mächte nicht kennen würden.

Die Traurigkeit der ersten Strophe bietet Goethe höchst meisterlich dar; in diesen vier Versen findet der geneigte Leser Stunden der leeren Trauer, der kreisenden Gedanken und der drängenden Hoffnungslosigkeit.

Die zweite Strophe wirft einen kritischen Blick auf die in der ersten eingeführten himmlischen Mächte. Diese würden den armen Menschen zwar schuldig werden lassen – ihn dann allerdings der Pein überlassen. Das ist ein bösgläubiges Bild der Mächte (was immer sie übrigens sein mögen) und passt insbesondere nicht zum neutestamentlichen Gott. An den glaubte Goethe indes wohl ohnehin nicht; man kann bei ihm eher von einer Art pantheistischen Vorstellung ausgehen (ähnlich übrigens wie bei Einstein).

Im Oktober 1797 laß Schiller den Wilhelm Meister erneut und schrieb an Goethe:

Uebrigens kann ich Ihnen nicht genug sagen, wie mich der Meister auch bei diesem neuen Lesen bereichert, belebt, entzückt hat – es fließt mir darin eine Quelle, wo ich für jede Kraft der Seele und für diejenige besonders, welche die vereinigte Wirkung von allen ist, Nahrung schöpfen kann.

Schlagwörter: literatur, gedicht-des-monats